Medienpolitik: Stellungnahme des Medienbündnisses in Sachen Art. 4 EMFA

Ermittlungsmaßnahmen gegen Medien / Journalist*innen
27.04.2023

ARD Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
BDZV Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger
Deutschlandradio
DJV Deutscher Journalisten-Verband
dju Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union
Deutscher Presserat
VAUNET Verband Privater Medien
MVFP Medienverband der freien Presse
ZDF Zweites Deutsches Fernsehen

Positionspapier des Medienbündnisses zur Stärkung des Redaktionsgeheimnisses und des Quellenschutzes von Medien und Journalist:innen im Rahmen der Verordnung zur Schaffung eines gemeinsamen Rahmens für Mediendienste im Binnenmarkt (Europäisches Medienfreiheitsgesetz) und zur Änderung der Richtlinie 2010/13/EU – EMFA –

Das erklärte Ziel des EMFA ist der europaweite Schutz der Medienfreiheit und des Medienpluralismus. Konsequenterweise betont der Vorschlag der Kommission in seinen Erwägungsgründen völlig zu Recht die Notwendigkeit eines „robusten Schutzes“ journalistischer Quellen und Kommunikation (Erwägungsgrund 16). Der Schutz journalistischer Quellen müsse daher vereinheitlicht und weiter gestärkt werden (Erwägungsgrund 17). Der Schutz journalistischer Quellen ist in Art. 4 EMFA vorgesehen.

Leider genügen weder der Entwurf der Kommission vom 16. September 2022 noch der jüngste Entwurf des Rats vom 11. April 2023 diesen Ansprüchen. Vielmehr sind sie in wesentlichen Teilen unklar und fallen teils deutlich hinter das bestehende deutsche Schutzniveau und das der EMRK zurück.

Zwar sieht Art. 1 Abs. 3 des letzten vorliegenden Ratsentwurfs vor, dass die Mitgliedstaaten weiterhin die Möglichkeit haben sollen, striktere Regelungen zu erlassen, also im Verständnis des Medienbündnisses ein über das Niveau des Europäischen Medienfreiheitsgesetzes hinausgehendes Schutzniveau für journalistisches Arbeiten vor staatlichen Ermittlungsmaßnahmen gesetzlich zu erlassen bzw. beizubehalten. Diese Regelung wird vom Medienbündnis unbedingt unterstützt, weil der Effekt der Regelungen des Quellenschutzes im EMFA ja gerade die Stärkung und nicht die Schwächung der journalistischen Arbeit sein soll. Die Möglichkeit eines höheren Schutzniveaus muss auch weiter den Mitgliedstaaten erhalten bleiben.

Allerdings darf das Schutzniveau der Verordnung trotzdem nicht hinter die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum publizistischen Quellenschutz zurückfallen. Darüber hinaus reicht ein – zumal lückenhafter – Minimalschutz nicht aus, wenn die Europäischen Organe zu der Erkenntnis gekommen sind, dass es zur Verwirklichung eines einheitlichen Binnenmarktes der Medien auch eines einheitlich hohen Schutzniveaus bedürfe. Ein insgesamt hohes Schutzniveau ist dann konsequenterweise über die gesamte Europäische Union hinweg zu etablieren. Das ist auch deshalb nötig und konsequent, weil es in zunehmendem Maße internationale Kooperationen von Medien und Journalisten gibt, etwa im Rahmen gemeinsamer Rechercheprojekte wie z.B. bei den Panama-Papers oder den Pandora-Papers, aber auch weil Informationen von Medien häufig auf Servern in anderen Ländern der EU liegen. In solchen Fällen hilft ein Schutz nur in einem Mitgliedstaat nicht, wenn ein anderes Land Zugriff auf Rechercheergebnisse oder gar journalistische Quellen ermöglicht.

Vor diesem Hintergrund ruft das Medienbündnis die Bundesregierung, die Bundesländer als Verhandlungsführer im Rat und die Europäischen Institutionen dazu auf, sich im Rahmen des weiteren Gesetzgebungsprozesses für einen verbesserten Schutz journalistischen Arbeitens und insbesondere den Schutz journalistischer Quellen einzusetzen, der mindestens folgenden Anforderungen genügt:

    1. Der Schutz muss sich auf alle Institutionen und Personen erstrecken, die professionell journalistisch tätig sind. Das heißt, dass sowohl öffentlich-rechtliche und private Medienunternehmen und ihre Beschäftigten als auch freie Journalist:innen in den Genuss dieses Schutzes kommen müssen. Das ist nicht nur aus Gründen der Gleichbehandlung geboten, sondern auch deshalb unerlässlich, weil freie Journalist:innen häufig insbesondere im Recherchestadium noch ohne Beauftragung eines Medienunternehmens arbeiten und diese häufig noch nicht einmal Kenntnis von der Recherchetätigkeit haben.

       

    2. Der Schutz darf sich nicht nur auf den Schutz der Quellen im engeren Sinn wie Informant:innen erstrecken, sondern muss das Redaktionsgeheimnis insgesamt umfassen, also auch selbstrecherchiertes Material, Redaktionsräume etc. schützen. Beides lässt sich in der Regel auch nicht voneinander trennen, erst recht nicht ex ante von Ermittlungsbehörden. Wenn Überwachungsmaßnahmen gegen Medien durchgeführt werden, besteht immer die Gefahr, dass Quellen aufgedeckt werden. Wird im Rahmen einer Ermittlung eine Quelle „versehentlich“ offengelegt, lässt sich das auch nicht mehr nachträglich ungeschehen machen. Zudem unterliegt auch selbstrecherchiertes Material dem Schutz der Rundfunk- und Pressefreiheit nach der Grundrechte-Charta, der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie dem deutschen Grundgesetz. Ausnahmen hiervon sollten nur in eng und klar definierten schweren Straftaten sowie dann gelten, wenn sich ein konkreter und schwerwiegender Verdacht gegen Journalist:innen selbst richtet und anderweitige Ermittlungsmaßnahmen von vornherein nicht erfolgversprechend sind.

       

    3. Insbesondere der Quellenschutz darf nicht unter den Vorbehalt entgegenstehender öffentlicher Interessen gestellt werden. Quellen wenden sich nur dann an Medien, wenn die Medien ihnen strikte Vertraulichkeit zusichern können. Ein mehr oder weniger unbestimmter Rechtsbegriff wie ein überwiegendes öffentliches Interesse zerstört dieses Vertrauen, weil der Schutz dann von einem für die Quelle nicht vorhersehbaren und auch häufig nicht nachvollziehbaren Abwägungsvorgang abhängt. Die Gefahr ist hoch, dass Quellen dann im Zweifel das Risiko scheuen und sich erst gar nicht an die Medien wenden.

       

    4. Nach der Rechtsprechung des EGMR dürfen Eingriffe in den publizistischen Quellenschutz nur aufgrund eines Beschlusses durch einen Richter oder eines unabhängigen Kontrollorgans erfolgen. Gerade im Bereich des Quellenschutzes ist ein vorlaufender Schutz durch Verfahrensabsicherungen unerlässlich. Ist eine Quelle enttarnt, ist der Schaden eingetreten und lässt sich nicht mehr beseitigen. Es reicht auch nicht aus, zur Überprüfung bloße „objektive Institutionen“ vorzusehen. Es entspricht der Rechtstradition von Rechtsstaaten, dass die unabhängigsten Institutionen die Gerichte sind. Nur Gerichte bieten die höchste Gewähr dafür, dass Grundrechte nicht aus Gründen der Opportunität und eines Ermittlungsergebnisses geopfert werden, gerade auch dann, wenn die staatlichen Ermittlungen einem eigentlich legitimen Zweck dienen. Im deutschen Rechtssystem sind zudem auch die Staatsanwaltschaften „objektive Institutionen“. Trotzdem sieht die Strafprozessordnung in besonders grundrechtsrelevanten Fällen die Beteiligung von Gerichten zwingend vor.