Freie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk

22.10.2015

Mehr Rechte für Urheberinnen und Urheber – auch bei ARD, ZDF und Deutschlandradio!

Ein Bericht von Manfred Kloiber auf der Medienpolitischen Tagung von ver.di und DGB am 15./16. Oktober beim MDR in Leipzig

Auch wenn vor allem die Kolleginnen und Kollegen bei privatwirtschaftlichen Medienunternehmen enorm unter dem Wert- und Ansehensverlust journalistischer Arbeit leiden müssen: Noch immer ist die Position der meisten - vor allem der „lange dabei“ - Freien im öffentlich-rechtlichen Rundfunk vergleichsweise gut. Gut deshalb, weil das Honorareinkommen dann doch für ein auskömmliches Leben reicht. Und gut, weil ver.di in diesem Bereich dafür gesorgt hat, dass Honorare und soziale Leistungen für Freie nicht vollends in den Keller rauschen. Bislang haben die Tarifverträge für arbeitnehmerähnliche Personen, z.B. der Urhebertarifvertrag, immer vor extremem Honorardumping geschützt.

An diesen Urhebertarifvertrag, der Anfang der 2000er Jahre ausgehandelt und in den vier großen ARD- Anstalten und im Deutschlandradio dann auch abgeschlossen wurde, fühlen sich die Häuser gebunden. Mehr noch, sie haben ebenso ihre Allgemeinen Honorarbedingungen daran ausgerichtet. Auch das hat ver.di so ausgehandelt. Dieser Tarifvertrag regelt die grundsätzlichen Bedingungen für alle Urheber, die in einem direkten Auftragsverhältnis zum Sender stehen. Leider regelt er NICHT die Bedingungen für die vielen Freien Mitarbeiter, die nur mittelbar, also über Produktionsfirmen oder als Rechnungssteller für den Sender tätig sind. Das werden immer mehr und für die meisten von Ihnen bedeutet das: Total Buy Out – oder auf Deutsch: Der totale Ausverkauf! Man muss kein Defätist sein, um hier einen Zusammenhang zu erkennen.

Was steht nun drin im Urhebertarifvertrag? Das Wesentliche: Er regelt, welche Rechte die UrheberInnen dem Sender einräumen. Nämlich alle, die ein Rundfunkunternehmen praktischerweise benötigt. Er regelt, welche Rechte der Sender weitergeben darf: Alle, die er selbst eingeräumt bekommen hat. Er regelt, was zu zahlen ist, wenn die Rechte auch tatsächlich genutzt werden. Wiederholungen im Hörfunk beispielsweise kosten in der Regel 75 oder 50% des Ersthonorars – und Übernahmen durch andere Sender sind mit 50% zu vergüten. Beides allerdings nur, wenn es sich um ein Werk mit Wiederholungsvergütungs-Anspruch handelt. Aktuelle Beiträge können in den meisten Sendern auch mit Einmalabgeltung vergütet werden. Was dazu führt, dass der eine oder andere kreative Redaktionsleiter einen hoch-wissenschaftlichen Beitrag über das Liebesleben der Waldameise zum hoch-aktuellen Korrespondentenbericht live aus dem Unterholz erklärt!

Und er regelt – ganz wichtig –, dass für die Online-Nutzung ein Zuschlag von 4,5 % zu zahlen ist. Der Online-Zuschlag ist übrigens ein interessanter Zankapfel: Viele Programmdirektoren würden ihn lieber heute als morgen abschaffen. Angeblich weil er viel zu teuer sei und Online sowieso nix kosten dürfe. Auf der anderen Seite aber erklären die gleichen Leute, Online sei die strategisch wichtigste Komponente für die Zukunftssicherung. Darf aber nix kosten!

Was nicht drin steht ist, dass UrheberInnen ein Recht darauf haben, von jeder Nutzung ihrer Werke zu erfahren.

Machen wir einmal den Praxisabgleich: Was bringt mir als Freier Mitarbeiter dieser Tarifvertrag? Zunehmend weniger: Beispiel Hörspielautorinnen und Regisseurinnen. Deren Geschäftsmodelle waren vor 10, 15 Jahren ganz einfach: Eine Hörspielmacherin schrieb drei bis vier Hörspiele im Jahr, jeweils für einen Sender. Die Grundhonorare reichten prima für die Miete. Interessant wurde die Sache aber erst durch Wiederholungen in anderen Programmen und durch die Übernahmen anderer Sender. Denn damit kam zusätzliches Geld in die Kasse, so dass man dann gut davon leben konnte. Und am Ende war da noch die Kassetten- oder CD-Produktion durch einen Hörbuchverlag – das brachte bei starken Produktionen einen Extraobolus.

Heute dagegen bleibt oft nur noch das bescheidene Grundhonorar – und das bei extrem schrumpfenden Sendeplätzen. Übernommen wird nur noch wenig und wiederholt am ehesten dann, wenn die Rechte dafür umsonst zu haben sind. Da gewährt nämlich der Urhebertarifvertrag bei großen Werken eine kostenlose Zweitsendung innerhalb von vier Wochen. Große Ko-Produktionen wie zum Beispiel der Radiotatort spitzen die Situation noch zu: Da kauft dann eine Anstalt mittels Individualverträgen, deren Vereinbarkeit mit den geltenden Tarifverträgen noch zu prüfen ist, das Recht zur Ausstrahlung in der ganzen ARD. Und das zu Preisen, die weit unter den eigentlich zu zahlenden Übernahmevergütungen liegen. Weiterverkaufen geht auch nicht mehr, weil ja die Produktionen von den Sendern ins Netz gestellt werden, also für die Hörer kostenlos im Download sind. Da lohnt dann natürlich auch keine CD-Produktion mehr. Außerdem haben sich die Verhältnisse längst umgedreht: Heute produzieren die Audio-Verlage, machen meist Buy-Out-Verträge mit den AutorInnen und RegisseurInnen, und an die Sender verkaufen sie dann Sende-Lizenzen. Wie das auf die Kunstform Hörspiel wirkt, muss ich wohl nicht weiter erklären. Sie stirbt langsam aber sicher aus!

Ein anderes Beispiel, diesmal aus dem Wissenschaftsjournalismus: Noch vor 10 Jahren hatte nahezu jeder Sender im Hörfunk eine eigene Wissenschaftsredaktion. Heute sind es ARD-weit noch gefühlte dreieinhalb. Damals standen die Sender nicht in Konkurrenz zueinander, denn jeder hat ja für sein Bundesland gesendet. So konnte eine fleißige Wissenschaftsjournalistin von ihren Themen gut leben: Sie hat allen Wissenschaftsredaktionen gleichzeitig angeboten, und drei oder vier haben zugeschlagen. Die einen haben Extrawünsche gehabt, zum Beispiel einen ganz bestimmten Themenschwerpunkt oder einen regionalen Bezug. Also haben sie einen eigenen Beitrag angefordert. Andere Redaktionen dagegen haben lieber Geld gespart und von anderen Sendern übernommen. Wie auch immer – am Ende standen Aufwand und Ertrag in einem angemessenen Verhältnis. Heute dagegen ist eine Art Pseudo-Wettbewerb in den Redaktionen und untereinander ausgebrochen: Dadurch, dass jedes Wissensportal eines Senders im Internet global erreichbar ist, machen sich die Wissenschaftsredaktionen Konkurrenz untereinander. Fast alle Redaktionen verlangen mittlerweile das Erstsenderecht, was de facto ein Exklusiv-Senderecht ist. Das aber sieht der Tarifvertrag gar nicht vor und müsste eigentlich mit großzügigen Aufschlägen von 100% und mehr vergütet werden, weil es ja das Geschäftsmodell der Journalistin stört. Übernahmen finden nur noch selten statt, weil man ja von der Konkurrenz nicht übernimmt. Und wenn doch, dann geht das oft an der Verwaltung und den Lizenzabteilungen vorbei. Einfach Beitrag von der Webseite des anderen Senders downloaden und absenden. Was dazu führt, dass manchmal noch nicht einmal festgestellt wird, ob ein Wiederholungsvergütungsanspruch besteht. Da sind viele Redakteurinnen und Redakteure offenbar der irrigen Meinung, innerhalb der ARD dürfe man kostenlos alles kreuz- und quersenden. Klar, dass dann auch die Autorin von der Ausstrahlung nichts erfährt, weshalb es auch keine VG-Wort-Meldung gibt. Auch Reisekosten werden nur noch höchst selten bezahlt – was im krassen Gegensatz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (§670 Ersatz von Aufwendungen) und den Reisekostenordnungen der Sender steht. Und wenn sie doch etwas zu Fahrtkosten oder Hotel dazu tun, dann kommen einige Redaktionen auch noch auf die verwegene Idee, das Alleinverwertungsrecht für Recherchen und O-Töne zu beanspruchen. Nicht selten also fahren FachautorInnen auf wichtige, mehrtägige Konferenzen, haben vielleicht Aufträge für zwei Beiträge à 250 Euro in der Tasche, und bleiben dann auf Reisekosten in Höhe von 300 oder 400 Euro sitzen. Das Finanzamt nennt solch ein Geschäftsmodell Liebhaberei! Gleichzeitig werden die wenigen Beiträge von anderen Sendern abgefischt und ausgeschlachtet. Die O-Töne werden recycelt und von sogenannten Tischreportern Texte drum herum geschrieben. Fertig ist ein neuer Low-Cost-Beitrag. Leider alles keine Seltenheit, berichten die Kolleginnen und Kollegen. Und Sender, die sich noch nicht mal das leisten wollen, die machen gleich das kostenlose und meist auch kritikarme Quickie-Interview mit einem Forscher, am liebsten per Telefon, damit es sich besonders aktuell anhört. Obendrauf kommt auch noch, dass in einigen Sendern – zum Beispiel im WDR - die tatsächlich gezahlten Honorare für qualifizierte Beiträge trotz aller tariflichen Anhebungen seit Jahren und Jahrzehnten nicht mehr steigen. Dort sehen die Honorartabellen Spannen vor – je nach Aufwand des Beitrags. Erhöht werden aber immer nur die Mindesthonorare und nicht die tatsächlich gezahlten!

Das alles führt dazu, dass sich eine Wissenschaftsjournalistin, (eine Masterin der Biologie, eine Doktorin med. oder eine Ingenieurin) auf ein Leben mit einem Einkommen irgendwo zwischen Hilfsarbeiterin und Handwerksgesellin einstellen muss. Kein Wunder also, dass der Wissenschaftsjournalismus große Nachwuchssorgen hat. Jeder Job als Pressesprecherin oder Referentin in einem Wissenschaftsbetrieb ist besser bezahlt, zuverlässiger, gesundheitsverträglicher und vor allem familienfreundlicher!

Angesichts des gebetsmühlenartig vorgetragenen „Kostendrucks“, der ja eigentlich ein höchst fragwürdiger politischer Druck ist, sorgen auch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten für immer dünnere Luft bei den Freien. Zumal viele ambitionierte Produktionen vor allem im Fernsehen mittlerweile in viele kleine tarifungebundene Produktionsgesellschaften ausgelagert werden. Die Lage wird immer kritischer! Da gilt es auch im Urheberrecht frühzeitig gegenzusteuern: Jede einzelne Nutzung muss vergütet werden – damit Urheber von Ihren Werken auskömmlich leben können. Buy-Out-Verträge sind unmoralisch und langfristig gesehen höchst schädlich, denn sie zerstören die Existenzgrundlage von Künstlern und Publizisten.

Honorare müssen angemessen sein – und es beim Rundfunk auch bleiben.